Weitblick statt Tunnelblick – das gilt auch für unsere Wahrnehmung von Sprache. Immer wieder taucht in Diskussionen über Künstliche Intelligenz ein seltsames Argument auf: Man könne KI-generierte Texte angeblich daran erkennen, dass sie „so viele Gedankenstriche“ enthalten. Aber stimmt das wirklich? Und was sagt das über unser eigenes Sprachgefühl aus?
Ein Blick auf den Gedankenstrich
Der Gedankenstrich – korrekt gesetzt – ist ein vielseitiges Stilmittel. Er schafft Raum für kleine gedankliche Pausen, hebt Einschübungen hervor und gibt Texten einen besonderen Rhythmus. Gute Autorinnen und Autoren setzen ihn bewusst ein, um den Lesefluss lebendig zu gestalten.
Dass KI-Modelle öfter Gedankenstriche verwenden, liegt weniger an „Roboterdenken“ als an einem überaus aufmerksamen Umgang mit Sprache. Moderne Sprachmodelle sind so trainiert, dass sie Variantenreichtum, Lesefreundlichkeit und Stilmittel nutzen – oft sogar genauer, als es im alltäglichen Sprachgebrauch der Fall ist.
Woher kommt das Misstrauen?
Viele Menschen haben heute ein eher fragmentarisches Wissen über Grammatik und Zeichensetzung. Regeln werden intuitiv angewendet, nicht bewusst. Dadurch wirken Texte, die plötzlich konsequent und variantenreich Satzzeichen wie den Gedankenstrich einsetzen, ungewohnt „anders“ – und manchmal fälschlicherweise „künstlich“.
Hinzu kommt: Echte Sprachqualität erfordert Aufmerksamkeit. Wenn Korrektheit und Stil plötzlich zur Ausnahme werden, wird selbst solide Schriftsprache misstrauisch beäugt.
Was wir daraus lernen können
Vielleicht ist der Gedankenstrich nicht das Erkennungszeichen für KI – sondern ein stiller Hinweis darauf, wie wenig sorgfältig viele Menschen heute schreiben. Anstatt über die „Zeichen“ zu rätseln, lohnt sich der Blick auf die eigentliche Qualität eines Textes: Ist er klar? Anregend? Authentisch?
Denn eines bleibt: Ein guter Text berührt uns, egal ob von Mensch oder Maschine geschrieben. Und manchmal ist der Gedankenstrich – wie ein tiefer Atemzug zwischen den Worten – genau das, was ein Gedanke braucht, um wirklich zu wirken.
➡ Urteile weniger über die Zeichen. Fühle mehr in die Gedanken dahinter. Perspektivwechsel vom 29. April 2025 – von Ulrich Kern, Unternehmer & Business Coach. Mehr auf ulrichkern.de.